Von Daten zur Deutung: Warum Führung mehr braucht als Dashboards

Daten sind die neue Währung unserer Zeit – sagt man. Aber was nützt uns ein gefüllter Tresor, wenn niemand den Schlüssel besitzt?

In Unternehmen entstehen täglich Millionen von Datenspuren. Sie messen Klicks und Kundenwege, bewerten Verhaltensmuster, verfolgen Verkaufszahlen und erzeugen endlose Zahlenkolonnen auf Dashboards. Alles scheint messbar, alles verfügbar. Und doch bleibt das Gefühl: Die entscheidenden Fragen bleiben unbeantwortet.

Denn das Problem liegt nicht im Mangel an Information. Es liegt in der Unfähigkeit, aus Information Erkenntnis zu machen.

Fluchen für den Erfolg? Eine Parabel aus der Welt der Daten

Joel Shapiro, Professor an der renommierten Kellogg School of Management, erzählt eine Geschichte, die fast schon zu absurd ist, um erfunden zu sein.

Ein Wettbewerber seiner damaligen Firma verkündete stolz: Fluchen im Verkaufsgespräch steigert die Abschlussquote. Die Daten? Eindeutig: Wenn Verkäufer während des Gesprächs fluchten, lag die Erfolgsquote bei 48 %, statt bei 42 %. Wenn beide Parteien fluchten – Verkäufer und Kunde – kletterte die Zahl gar auf 50 %.

Doch Shapiro war skeptisch. Und klug. Er ahnte: Das Fluchen war nicht die Ursache des Erfolgs, sondern ein Symptom von Vertrauen. Nur wenn die Beziehung stabil genug war, wagte man sich in die sprachliche Grauzone. Es war nicht das Fluchen, das verkaufte – sondern die Nähe, die es ermöglichte.

Ein schönes Beispiel dafür, wie schnell Daten fehlinterpretiert werden – und wie gefährlich das sein kann.

Was ist Data Leadership? Zwischen Zahl und Bedeutung

Was Shapiro daraus ableitet, ist bemerkenswert einfach – und zugleich radikal:

„Daten sind bloß Informationen. Aber Beweise sind kontextuell, sie zeigen in eine Richtung.“

Führung heißt heute nicht, die meisten Daten zu haben – sondern die richtigen Fragen zu stellen. Es geht darum, das Wesentliche vom Rauschen zu unterscheiden, und Zahlen nicht als Wahrheiten zu begreifen, sondern als Hinweise auf Zusammenhänge.

Denn wer nur auf Dashboards blickt, sieht oft nicht das, was fehlt.

Ein kurzer Exkurs: Die Kunst, Daten zu erzählen

An dieser Stelle lohnt ein Blick in das Buch Storytelling with Data von Cole Nussbaumer Knaflic – ein Werk, das auch im Zeitalter künstlicher Intelligenz nichts von seiner Relevanz verloren hat.

Denn eines ist klar: KI kann analysieren – aber nicht erklären. Sie erkennt Muster, Wahrscheinlichkeiten, Korrelationen. Aber sie weiß nicht, was zählt.

Die Fähigkeit, Daten zu lesen, sie zu hinterfragen, visuell und narrativ so aufzubereiten, dass sie im Raum wirken, ist heute wichtiger denn je. Gerade Führungskräfte, die mit automatisierten Reports und KI-Auswertungen arbeiten, müssen sehen können, was sie sehen.

Knaflic zeigt uns: Gute Datenvisualisierung ist nicht Dekoration, sondern Denkhilfe. Sie ist Werkzeug gegen Selbsttäuschung – und Schlüssel zu Klarheit.

KI als Verstärker, nicht als Ersatz

Künstliche Intelligenz ist eine Kraft. Aber keine Richtung. Sie kann helfen, Entwicklungen zu prognostizieren, Auffälligkeiten zu erkennen, Entscheidungen vorzubereiten. Aber sie entscheidet nicht. Das tun wir.

Gute Führung nutzt KI nicht als Krücke, sondern als Verstärker. Sie fragt:

  • Woher kommt dieses Ergebnis?
  • Welche blinden Flecken stecken im Modell?
  • Was sagt mir mein gesunder Menschenverstand?

In dieser Haltung liegt die wahre Stärke – die Verbindung von Technologie und Urteilsvermögen.

Ein Blick in die Praxis: Was das mit Personalberatung zu tun hat

Lassen Sie mich diesen Gedanken an einem Beispiel illustrieren, das mir nah ist.

Als Personalberater im Maschinen- und Anlagenbau begleite ich Unternehmen bei der Besetzung von Schlüsselpositionen – von Geschäftsführern bis hin zu Beiräten. Auch wir nutzen heute KI-gestützte Diagnostiktools. Nicht als Ersatz für Menschenkenntnis – sondern als Verfeinerung.

Wir erfassen kognitive Fähigkeiten, Persönlichkeitsstrukturen und Softskills – nicht, um Menschen in Schubladen zu stecken, sondern um sie ganzheitlich zu verstehen.

Denn am Ende geht es immer um Passung. Zwischen Mensch und Organisation. Zwischen Charakter und Kultur. Zwischen Potenzial und Wirklichkeit.

Wir wollen Kandidaten nicht nur „vermitteln“, sondern sie an Orte bringen, an denen sie wachsen können – für sich selbst und für das Unternehmen.

Fazit: Daten sind nur der Anfang

Gute Führung beginnt nicht mit Daten. Sie beginnt mit der Frage nach Bedeutung. Sie fragt nicht nur „Was ist?“, sondern „Was folgt daraus?“

Wer das beherrscht, der führt nicht nur besser – sondern entscheidet klarer. Kommuniziert klüger. Und schafft Vertrauen.

In einer Welt voller Zahlen bleibt das die eigentliche Kunst.

Von Thomas Wild

Personalberater für Maschinenbau, Anlagenbau und Industriearmaturen

Thomas Wild ist Managing Director der DELTACON Koblenz GmbH Executive Search und verantwortet mit seinem Team die Branchen Maschinenbau, Anlagenbau und Industriearmaturen. Er verfügt über mehr als 20 Jahre operative Managementerfahrung als Managing Director und Vertriebsleiter in seinen Branchen.